Eine Lektion, die ich im Referendariat von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen gelernt habe: Zu spät kommende Schüler dürfen nicht einfach nur mit einem freundlichen Kopfnicken begrüßt werden.
Als Lehrerin solle ich auf die Wahrung der Autorität bedacht sein und den Zuspätkommer ermahnend zur Rede stellen: „Warum kommst du zu spät?“
In dieser Hinsicht wäre Jesus ein schlechter Lehrer. Von ihm kennen wir den strafenden Blick und die Frage nach dem Grund für die Verspätung nicht, obwohl auch er mit „Zuspätkommern“ zu tun hatte: So hält er zum Beispiel mit ausbeuterischen Steuereintreibern, den Zöllnern, und mit anderen Sündern Mahl und beruft sie in seinen engsten Jüngerkreis. Dem einsichtigen Verbrecher, der neben ihm am Kreuz hängt, verspricht er sogar in der Todesstunde: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“
Jesus geht offenherzig auf die Menschen zu. Wer sich für Jesus und seine Botschaft entscheidet – ob nun ganz pünktlich bei der ersten Begegnung oder verspätet nach zahlreichen Umwegen -, der ist geliebt und gerettet. Schaut Jesus also einfach über die Verfehlungen und Sünden der Menschen hinweg? Wischt er sie mit einer Handbewegung beiseite? Ich glaube, den Menschen wird in der Begegnung mit Jesus bewusst, was sie falsch gemacht haben, wo sie herumgeirrt sind und seine Botschaft erst später gelebt haben. Er braucht die Menschen nicht weiter zu ermahnen und den Zeigefinger zu erheben. Er nimmt sie liebevoll auf und verhilft ihnen zu einer besseren Zukunft: „Sündige von jetzt an nicht mehr.“
Die Fastenzeit erinnert uns daran, immer wieder umzukehren, Jesu Botschaft aufmerksam zu hören und zu leben. Dafür ist es nie zu spät – auch nicht am 5. Sonntag der Fasten- oder Passionszeit.
Christina Brunke, Lehrerin an der Marienschule Bielefeld
Wort zum Sonntag, Westfalen Blatt, 2. April 2022
Bild: Friedbert Simon
In: Pfarrbriefservice.de
Christina Brunke
Religionslehrerin an der Marienschule der Ursulinen, Bielefeld